Wird der Staat den Helfenden helfen?

von Sebastian Bohrn Mena

Es gibt eine „unsichtbare Hand“ in unserem Alltag – und sie ist oft weiblich. Denken wir etwa an die Beschäftigten in den Kindergärten, in den Altenheimen oder in den Supermärkten. Die bejubelten Heldinnen, die jetzt ihre fünf Minuten Dankbarkeit erfahren, aber leider trotzdem keine höheren Löhne. Denken wir aber auch an die unbezahlt Arbeitenden in den Kinderzimmern, Küchen und an den Betten ihrer kranken, alten Angehörigen.

Denken wir auch an die Arbeitenden, die unsicher und unterbezahlt schuften. Meine Frau Veronika Bohrn Mena hat schon vor der Krise diese „Neue ArbeiterInnenklasse“ dokumentiert. Also das immer größer werdende Heer an Menschen in Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit, in erzwungener Teilzeit, in befristeter Beschäftigung, in der sogenannten „atypischen Arbeit“, die längst auch bei uns typisch geworden ist.

Und dann gibt es noch eine dritte Gruppe, die oft übersehen wird, weil wir uns auch bei ihr so daran gewöhnt haben, dass sie da ist – egal, ob wir sie beachten, geschweige denn wertschätzen oder gar unterstützen. Ich spreche von den wunderbaren Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Die ihre Zeit, ihre Energie und ihre Leidenschaft in die Verbesserung der Welt investieren. Ganz gleich, wie groß diese Welt auch sein mag.

Ich rede von den Menschen, die sich um ihre Mitmenschen außerhalb der eigenen Familie kümmern. Aber auch von jenen, die sich für den Schutz der Natur, des Klimas, der Tiere einsetzen. Es sind in Summe Millionen, die allermeisten nebenberuflich im Einsatz. Was passiert mit ihnen in der Krise? Und was geschieht mit ihrer so wichtigen Hilfe, die sie notgedrungen nicht leisten können oder dürfen?

Manchen ist vielleicht gar nicht bewusst, wie stark dieses Ehrenamt auf Benefiz und Mildtätigkeit angewiesen ist, also auf Spenden, Sponsoring, Neudeutsch auch Charity. Und damit auf Veranstaltungen, auf persönliche Begegnungen. Und natürlich auf die Möglichkeiten jener Menschen, die einen finanziellen Beitrag leisten. Vieles davon ist in der Krise weg. Und damit ein wichtiges Fundament der Helfenden.

 

Von Scham, Stille und Liebe

Die Worte der begnadeten und von mir sehr geschätzten Schauspielerin Verena Altenberger, dieser „professionellen Empathin“, haben mich einerseits sehr berührt, andererseits aber auch nachdenklich gestimmt. Sie schreibt über ihre Scham und das Gefühl der Ohnmacht. Aber auch über Zivilcourage und darüber, was sie von ihrer Mama gelernt hat, die selbst eine Helfende war und ist. Und über die Liebe, die unsere Welt zusammenhält.

Ich frage mich seither ständig: Wird die Krise unser Verständnis und Erleben von Nähe und Distanz verändern? Und wenn ja, wird das positiv oder negativ für unser Zusammenleben sein? Ich weiß es nicht. Ich schreibe ja selbst in diesen Wochen einen flammenden Appell nach dem anderen darüber, dass wir die Krise als Chance begreifen sollten. Dass wir eine andere Welt brauchen, dass das nicht nur möglich, sondern dringend nötig ist.

Und dann höre ich mich um und erkenne die Verzweiflung, die sich Schritt für Schritt unter den Helfenden breitmacht. Unter jenen, die diese bessere Welt bewirken sollen, auf denen meine ganze Zuversicht aufgebaut ist. Die Hoffnung, die wird von ihnen nicht aufgegeben. Aber es macht was mit Menschen, wenn sie zur Stille verdammt werden, während sie das Gefühl haben, eine brennende Welt zu beobachten. Und gerne schreien würden.

Für mich ist das im Moment nicht nur eine Metapher, sondern ganz nah. Nicht nur, weil ich einer von diesen Menschen bin. Sondern auch, weil ich als Initiator einer zivilgesellschaftlichen Initiative, die derzeit weitestgehend lahmgelegt ist, aus einer ungewohnten Perspektive heraus unmittelbar erleben darf, kann und muss, was diese Krise alles in unserer Gemeinschaft bewirkt. Ich weiß nicht, ob ich das richtig vermitteln kann.

Aber stellen Sie sich vor: Hunderte Menschen, aus allen Teilen des Landes, vereint durch eine Vision – und durch einen innewohnenden Anspruch, einen unausgesprochenen Wertekanon, durch den Wunsch und Wille nach Veränderung. Über Monate zusammenarbeitend, Pläne schmiedend, Kraft aus der Tat schöpfend. Und plötzlich durch die Krise lahmgelegt, vorläufig ohne Perspektive, zur Stille verdammt.

 

Die neue politische Naivität

 Vor wenigen Tagen habe ich mit einem Regierungsmitglied diesbezüglich telefoniert. Es war an einem Sonntag und ich hatte mich darauf ehrlich gestanden nicht wirklich vorbereitet. Nicht aus Respektlosigkeit, sondern weil ich schlicht nicht weiß, wie man sich darauf vorbereitet, einem der höchsten Entscheidungsträger in der Republik zu erklären, was da gerade mit Menschen passiert, die so gerne helfen würden, aber nicht helfen können.

Ich brüllte regelrecht ins Telefon: „Aber Du musst doch irgendwas machen können! Irgendwie musst Du einfach dafür sorgen, dass die Helfenden auch in der Krise noch helfen können.“ Ja, meine Naivität nach all den Jahren des politischen Engagements überraschte mich selbst. Aber vielleicht ist das auch eine Folgewirkung der Krise, dass ich plötzlich wieder glaube, dass in der Not tatsächlich vieles besser werden kann?

Nun, ich kann den Virus nicht eindämmen und ich kann die Wirtschaft nicht retten. Nein, ich kann keinen einzigen Arbeitsplatz sichern, kein Essen auf den Tisch von Hungernden bringen, noch nicht mal eine Mundschutzmaske selbst nähen. Aber ich habe meine Stimme noch. Und ich kann sie erheben, damit die Stimmlosen gerade auch in der Krise nicht unberücksichtigt bleiben. Denn die trifft es immer am stärksten, wenn es schlimm wird.

Ich glaube schon, dass es Sinn macht, den Regierenden mal von Zeit zu Zeit ins Telefon zu brüllen, alternativ auch eine gesittete Mail zu schreiben. Denn die Systemrelevanz des Ehrenamts ist scheinbar nicht allen bewusst. Und dass das Ehrenamt davon lebt, dass Millionen in ihrem Tun strukturell und organisatorisch unterstützt werden, wohl auch. Die zigtausenden Vereine, NGOs, Initiativen. Sie alle darben regelrecht im Warten.

Wird die Regierung den Helfenden helfen? Sie muss einfach. Ich möchte hier keine Zahlenspiele bemühen über die Folgen eines Zusammenbruchs der Zivilgesellschaft oder über die katastrophalen Auswirkungen auf unser Miteinander, wenn die Helfenden ihre Hilfe einstellen. Der gesunde Menschenverstand sollte eigentlich ausreichen, um sich zu vorstellen, in was für einer traurigen, kalten und kaputten Welt wir dann aufwachen würden.


Sebastian Bohrn Mena

Dr. Sebastian Bohrn Mena ist Ökonom und Sozialforscher. Er ist Initiator des österreichischen Tierschutz-Volksbegehrens, einer überparteilichen Bewegung zur Stärkung von Tierwohl, Naturschutz und kleinbäuerlicher Landwirtschaft.

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Wohlstand ohne Wachstum