Nach der Krise ist nicht vor der Krise

von Karl Aiginger

Nach der Krise wird vieles besser

Nach der Coronavirus-Krise werden wir gelernt haben, die Digitalisierung besser zu nutzen. Durch sie können Schüler*innen, Lehrende und die ältere Generation viel lernen und alle Beschäftigten künftig angenehmer arbeiten. Wir kommunizieren dann auch mit Bild und Video mit entfernten Freund*innen und Verwandten, einsamen Kranken. Schnellerer Kontakt mit Ärzt*innen, Pfleger*innen, Physiotherapeut*innen, der Arbeiterkammer und Lebensberatung hilft bei Krisen. Einkaufen kann man das meiste per Internet, auch kleine Firmen lernen vielleicht gemeinsam zu liefern, hoffentlich in Fahrzeugen ohne Benzin- und Dieselmotoren oder per Fahrrad. Der tägliche Einkauf kann regional erfolgen, in Geschäften in denen man Obst, Windeln und Zeitungen gleichzeitig bekommt, hier wurden bewusst Beispiele gewählt, die man heute sicher nicht in einem Geschäft kaufen kann. Im neuen Nachbarschafts-Shop kann frau und man vielleicht auch persönliche Kontakte bei Kaffee und Imbiss knüpfen. Vielleicht auch in einem kleinen Geschäft direkt im oder beim „letzten“ Gasthaus im Grätzel oder Dorf. Es werden die engen Gewerbegrenzen fallen, sie beruhten auf Neid und waren ohne Kundennutzen. Und sie haben bewirkt, dass man ins Zentrum zum Supermarkt fahren und Getränke schleppen musste.

Starre Arbeitszeiten mit Fünftagewoche und fixen Bürozeiten fallen weg. Im Homeoffice und Teleworking - auch weit weg von der Firma - lassen sich fast alle Aufgaben erledigen, allerdings nur mit Disziplin, Vertrauen und Erfolgskontrolle. Ländliche Gebiete, die sich als verlorene Regionen gefühlt hatten, werden wiederbelebt. Man muss nicht im Speckgürtel wohnen und täglich eine Stunde pendeln, weder im Auto noch in überfüllten Öffis - mit Ohrenstöpseln, Nasen- und Mundschutz plus Gratiszeitung.

Nachbarschaften bringen Freude und gegenseitige Hilfe. Frau erfährt den Vornamen der Nachbarn, Mann die Hobbies der Kinder, Tischtennis statt im Club auch mit Nachbar*innen spielen. Einkaufen geht auch für zwei Familien, der Langzeitnachbar ist nicht so engstirnig wie wir – heimlich über den Gartenzaun spähend – geglaubt hatten.

Die Krise hat Populisten entlarvt

Die Staaten sind sehr unterschiedlich mit der plötzlichen globalen Herausforderung umgegangen. Während die einen das Problem lange leugneten und über die ersten Vorsichtsmaßnahmen der anderen sogar spotteten, beschuldigten andere Migrant*innen an der Verbreitung des Virus. Doch alle, die zuvor noch „my country first“ gerufen haben, verloren nur kostbare Zeit, aber mussten später erst recht dieselben strengen Regeln einführen. Nur ein einsamer Langzeitherrscher glaubt noch, nur weil die Viren in der Luft nicht sichtbar seien, gäbe es sie nicht. Und die oppositionellen politischen Extremisten quer durch Europa sind jetzt plötzlich ganz ruhig.

Auch die EU hat nicht optimal gehandelt und hatte wenig Kompetenz. Das nächste Mal wird Europa auf Erfahrung mit Gesundheitskrisen zurückgreifen können und bessere Regeln haben. So wie die EU nach der Finanzkrise höheres Eigenkapital, bessere Bankenaufsicht und einen Rettungsfonds durchgesetzt hat. Ungarn, Russland, Brasilien und die Türkei werden den Lernprozess missen, weil die Wirtschaft nicht nur wegen der Pandemie schrumpf, sondern auch strukturelle Probleme nicht gelöst wurden. Länder, die nach der Erholung von der Finanzkrise nicht gespart haben, haben meist auch ein ineffizientes Gesundheitssystem. Unterlassene Reformen haben höhere Kosten als das angebliche Gesundsparen. Die Krise ist eine Chance zur Weiterentwicklung der europäischen Zusammenarbeit.

Globalisierung und Staatstätigkeit sind zu reformieren

Die Grenzen der Globalisierung werden sichtbar, hoffentlich nicht wegen Grenzsperren, sondern weil lange Transportwege nur möglich waren, weil Umweltkosten nicht einbezogen waren. Konzerne, die zweistellige Renditen versprechen, sind verantwortungslos, sie verlassen sich meist auf einen einzigen Zulieferer*innen und zwingen ihn billig zu produzieren. Plattformen, die weltweit die Konkurrenz ausschalten, brauchen Taglöhner*innen und zahlen keine Steuern. Globalisierung ist ein Vorteil, aber darf nicht nur wie bisher von amerikanischen Konzernen gestaltet werden, sondern muss soziale und ökologische Standards nach oben angleichen. Wer jetzt Staatshilfe braucht, soll drei Jahre Manager*innen keine Boni zahlen.

Gesundheit, Umwelt und Armut hängen zusammen

Wir brauchen den Staat, aber er muss effizienter werden. Staatsquoten in Europa von 40% und mehr bei einem Sozialsystem, das wichtige Risken und Alterspflege nicht abdeckt, kann nicht optimal sein. Das Bildungssystem vererbt Einkommen und Armut, das Gesundheitssystem repariert, aber vergisst Prävention und ignoriert Dickleibigkeit und Bewegungsmangel. Die Subventionen für fossile Energie und gesundheitsschädliche Autos sind höher als Anreize für erneuerbare Energie und Forschung. Das EU-Budget ist klein und hat bisher schwachen Regionen beim Aufholprozess geholfen. Aber dass ein Drittel für Landwirtschaft ausgegeben wird und der Großteil für düngemittelintensive Großbetriebe muss beendet werden. Die nationalen Steuern dürfen nicht schwergewichtig Arbeit belasten, sondern Emissionen.

Überschuldung rächt sich. Wer in guten Zeiten hohe Steuern braucht und trotzdem Defizite macht und hohe Staatsschulden hat, kann in der Krise nicht gegensteuern. Selbstverständlich muss Europa Italien und Griechenland trotzdem wieder helfen, auch aus Eigennutz. Aber Schulden müssen zurückgezahlt werden, auch wenn sie auf Ineffizienzen und Privilegien zurückgehen und nicht auf Investitionen. Dass sich Länder ärgern, die es besser gemacht haben, ist verständlich. Einmal noch helfen ja, aber auch Reformwille der anderen muss in der Zukunft garantieren. Expert*innen, Analyst*innen, Medien sollen auch das betonen!

Hintertür für widerlegte Ideologien versperrt lassen

Vorsicht ist geboten, wenn im Sog der Krise Träume wiederbelebt werden, die sich als falsch und nicht mehrheitsfähig erwiesen haben.

Die Hoffnung, dass sich durch die Krise die „Umwelthysterie“ legen könnte, keimt auf - in Medien, Firmenaussendungen, bei Rechtspopulisten. Sie hoffen, die Verbote von Ölheizungen und Kohle ließen sich doch aufschieben. Obwohl klar ist, dass die Eingrenzung des Klimawandels schon jetzt schwierig ist und frühes Handeln wirtschaftliche Vorteile und Lebensqualität bringen. Es gibt mehr Klimatote als Verkehrstote. Und wie stark COVID-19-Todesfälle mit Luftverschmutzung zusammenhängen, wird man noch sehen. Gesunde Lungen erhöhen jedenfalls die Überlebensrate.

„Staatsfetischisten“ fordern schon wieder höhere Ausgaben und Steuern, mehr Beamt*innen, Spitäler und Betten. Ja, es gibt neue Bedürfnisse, Krankheiten, berufliches Burnout, Familienstress durch Patchwork-Familien. Aber wenn ein Land immer schon hohe Ausgaben mit mittlerem Erfolg hatte, dann hilft nicht ein größerer Staat, sondern nur ein klügerer. Und wenn Italien hohe Steuern und Schulden hat, dann helfen neue Finanzierungen ohne Reformen auch nicht. Das "Public Sector Management " wurde nie umgesetzt, ökosoziale Steuern ebenso wenig. Ungesundes Verhalten und übersüße Getränke sind nach wie vor weder anzeige- noch kostenpflichtig.

„Sozialpolitiker*innen der vorletzten Generation“ haben immer verlangt, dass jeder hohe Unterstützung bekommt, so nahe an 100% wie möglich. Gleichgültig ob jemand sich weiterbildet oder nicht. Neue Tätigkeiten sind am Anfang anspruchsvoller, dann aber erfüllender und höher bezahlt. Bedingungslose Absicherung, wenn die Sozialleistungen schon 30% der Wirtschaftsleistung ausmachen, sind kein Zukunftsmodell. Das sagen auch die Betroffen, sie wollen kein Leben im Sozialnetz, sondern Zukunftschancen und eine Arbeit, die geschätzt wird. Daher wählen sie rechts statt links, was auch nicht hilft.

„Militaristen“ träumen von alten Zeiten und erkennen, dass die Ängste der Bevölkerung wieder höhere Militärausgaben möglich machen. Österreich hat vielleicht nur noch 100 Kasernen (inklusive der Gebäude auf Truppenübungsplätzen und Sanitätszentren) statt früher 120. Aber wenn Geflüchtete kommen, brauchen wir neue Lager, am besten abgezäunt ohne Integrationschancen am Stadtrand - wie es oft gefordert wurde. Das Lager in Traiskirchen ist nur graduell besser. Für Corona-Kranke müssen Betten im Messegelände und am Bahnhof Meidling aufgestellt werden, in einem Land mit hoher Spitals- und Bettendichte. Die Gesundheitsausgaben sind höher als in den meisten anderen Ländern. „Kaputtsparen“ schaut anders aus. Genussvoll wurde vor einigen Monaten von Profiteur*innen des zersplitterten Systems noch kritisiert, dass die Zusammenlegung der Sozialversicherungen nur kostet und nichts bringt.

Verschuldungsgrenzen von Ländern sind jetzt auszusetzen, Konjunkturpakete sind richtig. Sie sollen allerdings nicht nur Löcher stopfen, sondern auf eine bessere Zukunft vorbereiten.  

Bei neuen Zielen trotz Krise auf Kurs bleiben

Europa hat sich neue Ziele gesetzt wie den Green Deal, ein Europa mit weniger Ungleichheit, „that strives for more“. Die Staatsschulden müssen trotzdem mittelfristig gesenkt werden, wenn sie in guten Zeiten ignoriert wurden. Jetzt wurden große Hilfspakete geschnürt, auch die Geldpolitik hilft. Das ist sinnvoll und wird die Krise verkürzen, aber wir müssen die Ausgaben in eine bessere Richtung lenken und Unsinniges über Bord werfen. Wer mit besserem Haushalt, hoher Forschung und reformierte Schulen in die Krise geht, kann dann gegensteuern. Österreich kann das und wird davon profitieren.

Klimapolitik und Sozialpolitik haben Synergien, sie brauchen neue Technologien, gute Ausbildung und die Zustimmung der Bevölkerung. Dann können beide für Nachbarn und weltweit vorbildlich sein, ein geopolitisches Europa kann nach der Krise führend sein in der Bekämpfung des Klimawandels, der Konfliktlösung, der Eingrenzung von Einkommens- und Vermögensdifferenzen. Der Markt kann nicht alles, aber auch der „große Bruder“ ist manchmal mehr behäbig als zukunftsorientiert.

Ein besseres Leben braucht mehr Wahlmöglichkeiten und eigenständiges Denken, unter richtigen Anreizen und Preisen. Populismus und die Rückkehr zu alten Rezepten hingegen sind Sackgassen. Schöpferische Zerstörung verbessert das Leben, sagte der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter, demokratisch geleitet wünsche ich mir die Suche nach innovativen Verbesserungen durch die Krise.

 

Karl Aiginger ist Ökonom und ehemaliger Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO. Er leitet die Querdenkerplattform Wien-Europa und lehrt an der Wirtschaftsuniversität Wien.

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